Überschriftengruß an den südlichsten der Süd.
''[...] Offene Grobheiten sind also wieder salonfähig. Grund dafür ist vor allem das schrille, destruktive Nein zum bundesrepublikanischen Konsens, das unaufhörlich aus dem Osten erschallt. Es wird befeuert vom autoritären Populismus der AfD, die hier gezielt ihre Identitätspolitik betreibt mit Angstmache, Hetze, Rassismus. Nach den Europawahlen und einer drohenden weiteren Verschiebung hin zum Rechtspopulismus bei den bevorstehenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern liegt die Frage in der Luft, ob, wo einst DDR war, die AfD bereits unbesiegbar sei.
Und wenngleich sich die Mehrheit weiterhin für Demokratie und Freiheit ausspricht, so ist doch in der allgemeinen Wahrnehmung die AfD längst die Partei des Ostens, den man im Übrigen noch nie so richtig verstanden hat. Zumindest hält man sich in jenem Teil Deutschlands, wo die rechtspopulistische Partei nicht die gleiche Wirkung erzielt, gern an diese Zuschreibung, die sich gerade der «Spiegel» im tiefsten Westen Hamburgs auf die Fahne schreibt. Chemnitz beispielsweise gilt spätestens seit dem Aufmarsch der Rechten im Spätsommer 2018 als AfD-Hochburg, obwohl die meisten Bürger dort mit dieser Partei überhaupt nichts zu tun haben.
Zunehmend im Zwist liegen aber auch die Ostdeutschen untereinander. Ehemalige Bürgerrechtler sehen derzeit ihr vorrangiges Verdienst an der Wende, ihr historisches Erbe infrage gestellt und empören sich über jene, die feststellen, dass die friedliche Revolution eine Massenbewegung gewesen sei. Hundert DDR-Oppositionelle wehren sich zudem in einem offenen Brief gegen die «Geschichtslüge» im Wahlkampf der AfD, welche die Gegenwart mit Slogans wie «Vollende die Wende» zur DDR zusammenschrumpfen lässt. Hier wie da wird man dabei den Eindruck nicht los, dass die Bürgerrechtler schon mehr gegen den eigenen Bedeutungsverlust ankämpfen, als dass sie in der aufgeheizten Stimmung dieses Wahlkampfs zu dringenden politischen Fragen etwas Vernünftiges beitragen.
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In diesem Kontext ist es bemerkenswert, dass jene, die sich derzeit mit differenzierten Voten zu Wort melden, unisono kritisieren, dass die ostdeutsche Erfahrung in der Auseinandersetzung und im kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik bis heute keinen festen Platz hat. Eine dringende Notwendigkeit, darüber miteinander ins Gespräch zu kommen, hatte indes bis anhin niemand gesehen. Denn die Wiedervereinigung war auch eine Einigung darüber, dass im Osten alles schlecht war und im Westen alles besser. Die meisten Westdeutschen hätten «bis heute nicht verstanden, was die Nachwendezeit wirklich für die Menschen im Osten bedeutete», stellt die sächsische Gleichstellungsministerin Petra Köpping (SPD) fest und fordert eine «gesamtdeutsche Aufarbeitung» der Verwerfungen und Verletzungen der Nachwendezeit.
Das ist richtig und wichtig, wobei man hinzufügen muss, dass die Ostdeutschen die Einheitsbedingungen kräftig mitgestaltet haben, woran sich heute viele einfach nicht mehr erinnern wollen. Es würde es den Ostdeutschen leichtermachen, sie könnten sagen: «Wir hatten damals eine klare Haltung zu unserer DDR – politisch, wirtschaftlich, alltagskulturell.»
Aber dem war nicht so, als in jenem Herbst vor dreissig Jahren aus «Wir sind das Volk» schnell «Wir sind ein Volk» wurde. Wer 1990 direkt nach der Währungsunion in einer Randgegend wie Görlitz in ein Geschäft ging, konnte selbst dort keine Ostprodukte mehr finden, weil die eben keiner mehr kaufen wollte. Damit sorgte der Osten selber dafür, dass die eigenen Waren auf dem Markt keine Chance hatten, was wiederum den Unternehmen, die überlebt hatten, bald den Garaus machte. [...]''
https://www.nzz.ch/feuilleton/afd-ddr-d ... ld.1504492
Von uns die Arbeit, von Gott den Segen.