Eine interessante Einordnung der saudischen Transfer Offensive....
Christian Grünwald ist Zukunftsforscher und arbeitet als Foresight Director bei Z_punkt, einer Beratung für strategische Zukunftsfragen mit Sitz in Köln
Sowohl in Deutschland als auch in Saudi-Arabien ist das Transferfenster nun geschlossen. Immer mehr Weltklasse-Spieler im vermeintlich besten Fußballer-Alter wechseln in dieser Transferperiode in die höchste saudische Liga, darunter auch aktuelle Champions-League-Sieger wie Aymeric Laporte.
Oberflächlich betrachtet mag dies als ein offenkundiger Versuch des saudischen Regimes abgetan werden, das eigene Image durch die politische Strategie des „Sportwashing“ – also die Nutzung von Sport, um ein freundliches, weltoffenes Image zu transportieren – aufzupolieren.
Schaut man jedoch genauer hin, können die sportpolitischen Bemühungen Saudi-Arabiens aber auch als ein Spiegel neuer geopolitischer Realitäten gedeutet werden – und so direkt eine Brücke zum kürzlich zu Ende gegangenen BRICS-Gipfel der Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika schlagen.
Dort wurde unter anderem eine Erweiterung der Runde um sechs Staaten, darunter auch Saudi-Arabien, beschlossen. Die nun BRICS+ genannte, sehr heterogene Runde eint vor allem der Wunsch, eine multipolare Weltordnung jenseits westlicher Ordnungsvorstellungen zu etablieren.
Dabei bedienen sich Politiker aus BRICS-Staaten bewusst anti-westlicher Narrative. Diese Narrative schreiben dem Westen Doppelmoral und Arroganz zu, westliche Ordnungsprinzipien werden in diesem Kontext gar als eine Art Auslaufmodell beschrieben.
Der vom neuen Selbstbewusstsein der Schwellenländer getriebene Wunsch nach einer geopolitischen und geoökonomischen Neuordnung der Welt scheint nun auch den Fußball erreicht zu haben. Dass Fußball hochpolitisch ist, haben nicht zuletzt die Weltmeisterschaften in Russland und Katar gezeigt.
Doch aller Veränderungen in der Welt zum Trotz galt der Fußball lange Zeit als so etwas wie die letzte noch existente Bastion des Eurozentrismus. Europäische Spitzenclubs sind längst zu globalen Marken geworden. Die Champions League des europäischen Fußballverbands UEFA gilt als das Maß aller Dinge, die Leitwährungen des internationalen Fußballs sind britisches Pfund und Euro.
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Faszination durch geballtes Können. Die Konsequenzen einer Fragmentierung von Talent und Können erahnen wohl auch die saudischen Fußballfunktionäre, die kürzlich überraschend eine Teilnahme der eigenen Top-Clubs in der UEFA Champions League anregten.
Vor diesem Hintergrund dieser Verschiebungen der Gewichte im Vereinsfußball sind drei Szenarien denkbar: Das erste Szenario wäre ein rasches Abflauen des Hypes durch ernüchterte Top-Stars, die wieder zurück nach Europa wechseln.
Das zweite Szenario wäre eines, das sich bereits heute durch die massive Ausweitung der Klub-WM abzeichnet. Hier würde eine globale Champions League unter dem Dach der FIFA – in der die Rolle des Westens ohnehin bereits geschwächt ist – etabliert, europäische Wettbewerbe verlören an Bedeutung. Die Spreizung der Finanzkraft unter den Clubs in den nationalen Ligen dürfte in einem solchen Szenario nochmals gewaltig zunehmen.
Die Spieler-Gehälter könnten nochmals stark steigen
Auch die von den Lebensrealitäten vieler Menschen entrückten Spielergehälter für Top-Spieler wären wohl noch einmal deutlich höher. Ein drittes mögliches, ähnlich gelagertes Szenario wäre eine umfassende Zweiteilung der globalen Fußballwelt: eine globale Super League auf der einen Seite und traditionsbewusste nationale Ligen auf der anderen Seite, welche regionale Fan-Nostalgien durch „echten“, weniger kommerzialisierten Fußball bedienen.
Doch selbst wenn das erste Szenario einträte, wäre dies kein Grund zur Entspannung für Europas Vereinsspitzen. Denn am Horizont zeichnen sich Entwicklungen ab, welche das Fußballgeschäft grundlegend verändern könnten – Frauen- wie Männerfußball gleichermaßen.
So könnte etwa die Verschmelzung von E-Sports, schon heute besonders in Asien ein Milliardengeschäft, und analogem Fußball zu einem sprichwörtlichen Gamechanger werden. Virtuelle Realität, digitale Zwillinge und Avatare bieten vollkommen neue Vermarktungs- und Erlebnispotenziale für weniger traditionsbewusste Fans auf der ganzen Welt.
Der politische Wettstreit um Zukunftstechnologien könnte so auch den Fußball stark beeinflussen. Geopolitik findet im 21. Jahrhundert auf vielen Feldern statt, auch auf dem Fußballfeld. Die saudische Transferoffensive ist da wohl nur der Beginn eines größeren Wettbewerbs mit ungewissem Ausgang.
https://www.tagesspiegel.de/meinung/es- ... ource=push
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie